Zwei Jahre Krieg im Sudan – Unsere Arbeit inmitten einer humanitären Katastrophe

14.04.2025 .

Am 15. April jährt sich der Ausbruch des bewaffneten Konflikts im Sudan zum zweiten Mal. Der Krieg hat Millionen Menschen entwurzelt – darunter auch Hirtengemeinschaften, deren Lebensgrundlage akut bedroht ist.

Eine Frau kniet in traditioneller Kleidung neben einem kleinen Kind vor einer Hütte in einem ländlichen Gebiet im Sudan. Vor ihnen steht ein Kanister, sie knetet eine Masse auf einem Stück Stoff.
Zwei Jahre Krieg im Sudan: Millionen Familien kämpfen ums Überleben.
© Tierärzte ohne Grenzen

Am 15. April 2025 jährt sich zum zweiten Mal der Ausbruch des bewaffneten Konflikts im Sudan. Die anhaltenden Kämpfe zwischen der sudanesischen Armee und den paramilitärischen Rapid Support Forces (RSF) haben eine der weltweit größten humanitären Krisen ausgelöst. Laut dem US Committee for Refugees and Immigrants (USCRI) sind aktuell 30,4 Millionen Menschen – mehr als die Hälfte der Bevölkerung – auf humanitäre Hilfe angewiesen, darunter 16 Millionen Kinder.

Die Zahl der Vertriebenen ist alarmierend: Über 12,7 Millionen Menschen wurden seit April 2023 aus ihren Heimatorten vertrieben – darunter 8,6 Millionen innerhalb des Landes und rund 4 Millionen in Nachbarländer. Kinder tragen dabei einige der schwersten Lasten des Krieges: Mehr als 53 Prozent der Vertriebenen sind Kinder, die nun seit zwei Jahren Gewalt, Vertreibung, Unsicherheit und instabile Lebensverhältnisse ausgesetzt sind.

Gleichzeitig sind nomadische und halbnomadische Gemeinschaften – deren Lebensgrundlage ganz auf Viehhaltung basiert – besonders herausgefordert. In Regionen wie Darfur und Kordofan haben viele Familien durch den Krieg nicht nur ihr Vieh verloren, sondern auch den Zugang zu traditionellen Weidegründen und Wasserstellen. Ressourcenkonflikte mit sesshaften Gemeinschaften nehmen zu – verschärft durch Dürreperioden und den Klimawandel. Die gezielte Zerstörung von Märkten, Handelswegen und Infrastruktur gefährdet ihre Existenz zusätzlich.

Inmitten dieser Krise leisten wir als Tierärzte ohne Grenzen (VSF Germany) weiterhin Hilfe – für die Menschen, durch ihre Tiere. Gerade in ländlichen Regionen, bei Tierhaltergemeinschaften und unter Pastoralisten sichern wir durch Impfkampagnen, tiermedizinische Versorgung und den Aufbau lokaler Strukturen die Lebensgrundlage vieler Familien. Wie das unter solch extremen Bedingungen möglich ist, erklärt Esmael Tessema, unser Landesdirektor im Sudan, im folgenden Interview.

Interview mit Esmael Tessema, Landesdirektor Sudan

Im vergangenen Jahr standen Sie vor der Herausforderung, 2,8 Millionen Impfdosen in den Sudan zu bringen – mitten im Krieg. Welche Hürden gab es dabei, und wie konnten Sie sie überwinden?

Das war für uns im Sudan ein echtes Novum: Seit über 50 Jahren wurden Tierimpfstoffe ausschließlich vom Central Veterinary Research Laboratory (CVRL) produziert und verteilt – und der Import war stark eingeschränkt. Doch durch den Krieg ist das CVRL nicht mehr funktionsfähig. Die Impfstoffproduktion kam komplett zum Erliegen.

Deshalb haben wir im November 2023 begonnen, den Import selbst zu organisieren – in enger Abstimmung mit dem sudanesischen Ministerium für Tierressourcen und dem CVRL. Nachdem wir die notwendige Genehmigung erhielten, starteten wir einen transparenten Beschaffungsprozess und wählten schließlich das Nationale Veterinärinstitut in Äthiopien als Lieferanten aus. Die Impfstoffe wurden in einem anerkannten Referenzlabor geprüft, vom Geldgeber genehmigt und bis Mai 2024 geliefert. Mitte Juni trafen sie in den Einsatzgebieten ein.

Trotz einiger Verzögerungen war das ein großer Erfolg: VSF Germany war die erste internationale NGO, die über 6,8 Millionen Dosen verschiedener Tierimpfstoffe über Port Sudan und den Tschad nach Darfur importieren konnte. Dieses Modell dient nun als Vorlage für weitere Impfstoff-Importe.

Gegen welche Krankheiten haben Sie geimpft – und warum war das so wichtig für die Menschen im Sudan?

Wir haben Impfstoffe gegen fünf schwerwiegende Tierkrankheiten importiert: gegen Pest der kleinen Wiederkäuer, Schaf- und Ziegenpocken, Milzbrand, hochansteckende Lungenseuche des Rindes und Rauschbrand. Diese Krankheiten sind im Sudan weit verbreitet und gehören eigentlich zu den staatlich geplanten Impfkampagnen. Doch 2023 konnten diese Programme wegen des Krieges kaum noch durchgeführt werden – mit dramatischen Folgen: Es kam zu Ausbrüchen von Lumpy Skin Disease, Schaf- und Ziegenpocken, Rauschbrand und weiteren Infektionen.

Insgesamt haben wir 1.430.235 Tiere – vor allem Rinder, Schafe und Ziegen – in den Bundesstaaten White Nile und Blue Nile geimpft. Jedes Tier erhielt zwei Dosen. Eine weitere Impfkampagne läuft derzeit in Darfur (über 1,3 Millionen Tiere) sowie in Blue Nile und South Kordofan (650.000 Tiere). Damit tragen wir zur Eindämmung von Krankheitsausbrüchen bei und stärken den Viehbestand in einer sehr kritischen Zeit.

Seit die Impfstoffe im vergangenen Sommer eingetroffen sind – welchen Einfluss hatte Ihre Arbeit auf das Leben der Familien und ihrer Tiere in den betroffenen Regionen?

Unsere Monitoring-Mission in der Region Blue Nile hat gezeigt, dass die Impfstoffe die Zielgemeinden erreicht haben – und dass sie wirken. Die Tierhalter*innen berichteten, dass Krankheiten wie die Pest der kleinen Wiederkäuer, die in benachbarten Gebieten auftraten, bei ihren eigenen Herden nicht mehr vorkamen. Sie beobachteten außerdem, dass ihre Tiere insgesamt gesünder sind, besser fressen und deutlich an Gewicht zulegen – besonders bei den Rindern war dieser Effekt spürbar.

Unser technisches Team führt diese Verbesserungen darauf zurück, dass die Tiere nun besser vor saisonalen Erkrankungen wie Lungenentzündungen geschützt sind, die vor allem im Herbst und Winter häufig auftreten. Für die Familien bedeutet das nicht nur weniger Tierverluste, sondern auch eine stabilere Versorgung mit Milch und Fleisch.

Darüber hinaus äußerten viele Gemeinschaften den Wunsch nach weiteren Impfungen – ein klares Zeichen dafür, wie sehr diese Unterstützung geschätzt wird. Die nächste Impfkampagne ist bereits angelaufen.

Ein Tierarzt in weißem Kittel impft eine Ziege im Freien. Zwei weitere Personen halten das Tier fest. Im Hintergrund steht ein Kind in einem sandigen, ländlichen Gebiet im Sudan.
Impfung in Blue Nile: Die Tiere vieler Familien sind nun besser vor Seuchen geschützt.
© Tierärzte ohne Grenzen
Die Regenzeit verschlechtert die Bedingungen im Sudan jedes Jahr. Wie hat sie sich 2024 auf Ihre Arbeit ausgewirkt?

Die Regenzeit – von Mitte Juni bis Mitte September – war wie jedes Jahr eine große Herausforderung. Viele Straßen wurden unpassierbar, Dörfer waren tagelang von der Außenwelt abgeschnitten. Trotzdem haben wir es geschafft, alle geplanten Regionen zu erreichen. Das war nur möglich, weil wir flexibel und kreativ auf die Situation reagiert haben.

Wir haben unsere Einsätze bewusst nach den stärksten Regenfällen geplant, alternative Routen genutzt, Traktoren und geländetaugliche Fahrzeuge eingesetzt – und sogar Boote, um Dörfer am Dam-See im Blue Nile zu erreichen.

Seit Sommer 2023 mussten Sie Ihr Büro zweimal verlegen. Wie hat das Ihr Team getroffen – und wie geht es Ihnen damit?

Der Krieg in Khartum hat unser Team stark getroffen. Viele Kolleg*innen mussten mit ihren Familien fliehen – nach Northern, River Nile, Nord-Kordofan, Gezira und West Darfur. Manche waren bis zu zehn Tage auf unsicheren Straßen unterwegs. Im August 2023 konnten wir uns schließlich in Damazine, im Bundesstaat Blue Nile, neu organisieren. Einige wohnten in unserer VSF-Unterkunft, andere mieteten sich ein. Die kulturelle Vielfalt vor Ort hat die Eingewöhnung erleichtert – aber fernab der Heimat zu leben, bleibt für alle eine große Belastung.

Im Juni 2024 hat sich die Lage nochmals verschärft: Als auch die Bundesstaaten Gezira und Sannar unter RSF-Kontrolle fielen, war der Zugang nach Blue Nile kaum noch möglich. Deshalb haben wir unseren Sitz nach Port Sudan verlegt. Dort sind wir wieder in Sicherheit, haben Zugang zu Banken und Telekommunikation – und können unsere Arbeit trotz aller Widrigkeiten fortsetzen.

Wie sehen Sie die Zukunft der Arbeit von VSF Germany im Sudan?

Sudan erlebt gerade eine beispiellose Krise. Ein Drittel der Bevölkerung ist auf der Flucht, über die Hälfte leidet unter Hunger – in Teilen von North- und South Darfur sowie South Kordofan herrscht akute Hungersnot.

Über 70 % der Menschen auf dem Land leben von Landwirtschaft und Viehzucht. Doch der Krieg zerstört ihre Lebensgrundlagen: Straßen, Märkte, Telekommunikation und Banken sind vielerorts nicht mehr nutzbar. Tierärztliche Dienste sind kaum noch erreichbar, und unkontrollierte Tierbewegungen erhöhen das Risiko von Seuchen. Zusätzlich breiten sich Krankheiten wie Cholera, Malaria, Dengue, Masern und Tollwut aus – und belasten das öffentliche Gesundheitssystem massiv.

Um das zu bewältigen, braucht es integrierte Ansätze: Wir setzen auf Programme, die humanitäre Hilfe, Entwicklung und Friedensförderung verbinden – und auf den One Health-Ansatz, der Tier-, Umwelt- und Menschengesundheit zusammen denkt. Nur so können wir langfristig Ernährung sichern, Krankheiten bekämpfen und die Widerstandsfähigkeit der Menschen im Sudan stärken.

 

Esmael Tessema: Landesdirektor Sudan mit sitzt in Addis Abeba. Herr Tessema war bis zum 15.04.23 im Khartum und besucht regelmäßig die Projekte in Sudan.

Als Tierarzt mit einer Spezialisierung in Entwicklungsstudien und ländlicher Entwicklung, besitzt Esmael Tessema das Know-how zur Schaffung von Existenzgrundlagen und der mittel- und langfristigen Stärkung der Resilienz und Förderung einer nachhaltigen Entwicklung. Esmael Tessema ist seit 2012 Teil von Tierärzte ohne Grenzen.